Letzte Änderung: 25.11.2005 (c) Georg Lind

Klinische, entwicklungsorientierte Supervision
& Beratung

- im Aufbau -

Inhalt | Literatur | Erfahrungsbericht | Kurse

Kollegiale Beratung und Supervision ist eine der effektivsten Maßnahmen zur Verbesserung der Lehrkompetenz von Lehrern und damit auch der Lernergebnisse von Schülern.

(siehe Wong, 2004)

Inhalt

  1. Definitionen
  2. Leitlinien
  3. Der Klinische Zirkel
    1. Großer klinischer Supervisionszirkel (für die Aus- und Weiterbildung)
    2. Kleiner klinischer Supervisionszirkel (für kollegiale und innerbetriebliche Fortbildung; Peer-Supervision)
  4. Die Vorkonferenz
    1. Diskussion der Gefühle
    2. Diskussion der Lernziele
  5. Die Beobachtung (Beobachtungsbogen)
  6. Die Nachkonferenz
    1. Diskussion der Gefühle
    2. Diskussion der Lernziele
  7. Anleitung für die "entwicklungsorientierte" Arbeit
    1. Angeleitete Reflektion
    2. Ethik der Supervision
    3. Aktives Zuhören (... Radiosendung "Kommunikation")
    4. Umfang mit Stress und Angst
    5. Ist mehr Beratung immer auch bessere Beratung?
  8. Anleitung für die "klinischen" Arbeit
    1. Vorbereitung der Beobachtung / Beobachtungsbogen
    2. Eröffnung der "klinischen" Beobachtung
    3. Sitzordnung
    4. Videoaufnahmen
    5. Beendung der Beobachtung
  9. Effektkontrolle (Evaluation in Bildungsinstitutionen)
    1. Wie kontrolliert der Lehrende Lernfortschritte bei den Teilnehmern?
    2. Selbstanalyse des Supervisors
    3. Leitfaden für Kursevaluation
  10. Spezielle Lernziele (Auswahl)
    1. Stufen der Vortragskunst
    2. Lerntandems
    3. Wartezeitregel (Micro-Pausen)
    4. Folien-Präsentation
    5. Nervosität
    6. Sprachprobleme
  11. Empfehlungen für den Einsatz der entwicklungsorientierten, klinischen Supervision
  12. Portfolio des Supervisors (Leitfaden)
    1. Zwecke und Ziele
    2. Wie Erwachsene lernen (Lernen und Lehren; moralisch-demokratisches Lernen)
    3. Die Rolle des Supervisors... mehr
    4. Übungsplan für die Supervision und unterstützende Dokumente
    5. Informationen über den Supervisanden / Kollegen

1. Definitionen

Mit entwicklungsorientierter, klinischer Supervision ist ein besonderer Ansatz gemeint, der vor allem von Alan Reim und Lois Thies-Sprinthall von der North Carolina State University auf der Grundlage der modernen Lehr- und Lernpsychologie entwickelt wurde.

Die Bezeichnung "entwicklungsorientiert" weist darauf hin, a) dass der zu beratende Proband, auch wenn es sich um einen Erwachsenen handelt, als lernendes und lernfähiges Wesen angesehen wird, und b) dass die Kriterien für Bewertung und Beratung im Rahmen dieser Supervision vom Probanden selbst aufgestellt oder mit ihm zusammen besprochen und vereinbart werden. Die Beratung und Bewertung der Probandenleistung allein auf Grund externer Kriterien des Supervisors sind mit diesem Ansatz nicht kompatibel.

Die entwicklungsorientierte Supervision erfordert vom Supervisor große Zurückhaltung und Urteilsfähigkeit.

Die Bezeichnung "klinisch" zeigt an, dass der zentrale Bestandteil, die Beobachtung der zu verändernden Handlungen direkt vor Ort, also klinisch stattfindet, und nicht in Form eines Rollenspiels oder eines Berichts des Probanden. Die direkte Beobachtung kann (gelegentlich) durch eine Videoaufnahme ersetzt werden.

Bei der klinischen Supervision tritt der Supervisor in Interaktion mit dem Probanden und anderen Personen, die bei der Handlungsprobe anwesend sind. Dies ermöglicht eine genauere Beobachtung als der subjektive Bericht durch den Probanden, stellt aber selbst auch einen Eingriff dar, dessen Auswirkungen auf die Bobachtung dem Supervisor bewusst sein müssen.

Die Begriffe Mentorik und Supervision werden oft gleichbedeutend benutzt und haben auch eine weitgehend überlappende Bedeutung. Aber:

a. Mentorik wird hier in einem umfassenderen Sinne zur Bezeichnung von allen Tätigkeiten benutzt, mit denen Selbstlernprozesse bei Schülern, Studierenden, Kollegen etc. unterstützt und gefördert werden.

b. Supervision wird zur Bezeichnung von Betreuungs- und Beratungstätigkeiten benutzt, die speziell auf die Entwicklung von professionellen Fähigkeiten gerichtet sind.

2. Ziele und Grundsätze

Effektive Mentorik und Supervision setzen voraus,

a. dass der Lernende sich aktiv beteiligt und dass der Lehrende diese aktive Beteiligung akzeptiert und nach besten Kräften fördert;

b. Praktikanten (und Referendare) sind erwachsene Menschen und als zukünftige Kollegen zu behandeln;

c. dass in der Beziehung zwischen dem Mentor und dem Betreuten die Bedürfnisse beider Seiten gleichermaßen berücksichtigt werden;

d. dass die Kommunikation zwischen Mentor und Betreutem möglichst effektiv verläuft, d.h., dass in beiden Richtungen keine wichtigen Informationen verloren gehen oder durch Störungen und Verzerrungen zu Missverständnissen führen; dafür ist beides komplementär notwendig: die Fähigkeit zur Darstellung der eigenen Gedanken und die Fähigkeit zum Zuhören;

e. dass eigene Gedanken effektiv dargelegt bzw. mitgeteilt werden; dafür zweckvoll sind:

i. Kurze Besinnungszeit für die stille Klärung der eigenen Gedanken evtl. unterstützt durch Augen schließen und kurze Notizen
ii. Besprechung mit "Gleichgesinnten", mit Kollegen oder mit Experten
iii. Ausprobieren beim Mentor-Schützling ("Ich denke darüber so.... Sagt Ihnen das etwas? Oder soll ich soll ich versuchen, es nochmals anders darzustellen?")

f. dass das Zuhören möglichst effektiv gestaltet wird; dafür zweckvoll sind:

i. Stilles Zuhören, ausreden lassen; die Wartezeit-Regel: vor und nach der Antwort des anderen sollte man (mindestens 2-3 Sekunden) warten, um die eigene Antwort vorzubereiten bzw. um für Ihre Reaktion aufnahmebereit zu sein. Diese Wartezeit erleichtert auch die Synchronisation unterschiedlicher Lerngeschwindigkeiten bei den Schülern.
ii. Tatsächliches zuhören durch verbales und/oder non-verbales Verhalten zeigen ("Mmm" "Oh" "Ja, was dann?" "Möchten Sie mir das noch genauer schildern?"). Tatsächliches Zuhören wirkt bei den meisten Schülern bereits als eine positive Verstärkung – positiver oft als extrinsisch Motivationen durch Süßigkeiten und andere Vergünstigungen.
iii. Aktives Zuhören durch Rückfragen zur faktischen und emotionalen Bedeutung dessen, was der andere sagt ("Sie klingen besorgt. Ist das so?" "Sie fühlten sich schlecht vorbereitet. Wofür, meinen Sie, hätten Sie mehr tun müssen?" "Sie fühlten sich von der Klasse missverstanden. Wie, denken Sie, haben die Schüler das verstanden?")

Die wichtigsten Prinzipien einer kollegialen, entwicklungsorientierten Supervision sind wechselseitigen Respekt, Fairness und Offenheit. Berater und Beratender sehen sich als Gleichgestellte. Der Beratende wird als ein Person wahrgenommen, die in ihrer Arbeit als Lehrer und Pädagoge anspruchsvolle Ziele verfolgt und interessiert ist an einer Verfeinerung ihrer Zielsetzungen und an einer Vervollkommnung ihres eigenen professionellen Handelns. Diese Form der Supervision hilft den Probanden, ihre Sicht der Realität zu schärfen und Anregungen und Hilfestellungen für die eigene professionelle Entwicklung zu gewinnen. Sie dient nicht dazu, dem Probanden bzw. der Probandin externe, fremde Zielsetzungen und Standards aufzuzwingen und ihre Verhalten nach fremden, inkompatiblen Regeln zu beobachten und zu bewerten. Ein ganz wichtiges Element der kollegialen, entwicklungsorientierten Supervision ist daher die sogenannte Vorkonferenz, in der zwischen Proband und Supervision gemeinsam die Ziele und Kriterien der Beobachtung aufeinander abgestimmt werden.

Diese Art der Supervision stellt die wichtigste Form der praxisbezogenen Lehrerbildung und der Professionalisierung des Lehrerberufs dar. Gleichzeitig ist sie ein wichtiges Instrument der Organisationsentwicklung und der inneren Schulreform. Durch sie wird der Übergang von einer konventionellen, auf Nachahmung des Bekannten und Überlieferten basierenden Pädagogik zu einer postkonventionellen, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und eigenen Erfahrungen basierenden Pädagogik gefördert oder gar erst ermöglicht. Auch ist kollegiale, entwicklungsorientierte Supervision das Kernstück der inneren Reform einer Ausbildungsinstitution als Ganzes. Sie hilft, die unverbundenen Mitglieder einer Institution in eine lernende Gemeinschaft zu verwandeln, durch die erst wichtige Innovationen allgemein und nachhaltig werden.

Unverzichtbare Bestandteile der kollegialen, entwicklungsorientierten Supervision (und Mentorik) sind: die Vorbereitung auf jeden Einzelfall, die vorbereitenden Gespräche mit dem supervisierten Kollegen, die Hospitation, die Nachkonferenz mit dem supervisierten Kollegen und die Vorbereitung weiterer Supervisionszirkel. Im Rahmen der Lehrerausbildung (Referendariat und Berufseingangsphase) beträgt der Aufwand pro Supervision mindestens 3 Stunden (= 1 Stunde Vorbereitung + 1 Stunde Hospitation + 1 Stunde Nachbereitung) pro Zirkel, in der Anfangsphase und bei schwierigen Fällen aber auch deutlich mehr (Faktor 2 bis 3). Im Rahmen von Lehrerfortbildung und innerer Schulentwicklung können für Vor- und Nachkonferenz kürzere Zeiten (ca. 20 Minuten) angesetzt werden; allerdings kann und sollte die Supervision kontinuierlich geschehen.

Supervision kann in zwei Formen stattfinden: a) durch den Einsatz eines qualifizierten externen Supervisors (Schulentwicklungsberater, Vertreter der Schulverwaltung, Pädagogen und Didaktikern aus der Hochschule, u.a.m..), und b) durch Supervisionstandems. Tandems können nach pragmatischen Gesichtspunkten gebildet werden können (bei fachdidaktischem Fokus nach Fachnähe; bei allgemein didaktischem oder pädagogischem Fokus nach der Methodenvielfalt der Tandem-Partner; ansonsten auch nach der Verfügbarkeit gemeinsamer Stunden) und sie können immer wieder neu gebildet werden. Bei Tandem-Supervision wird die Rolle von Supervisor und Proband regelmäßig gewechselt. Diese Rotation sichert in der Regel die wichtigsten Grundtugenden einer entwicklungsorientierten, kollegialen Supervision: wechselseitigen Respekt, Fairness und Offenheit.

In welchem Rhythmus Supervision durchgeführt werden soll, sollte von Fall zu Fall entschieden werden. Richtwerte sind noch im Werden begriffen. Es scheint, dass bei unerfahrenen Praktikanten im einwöchigen Rhythmus, nach einem Monat im zweiwöchigen Rhythmus und nach drei Monaten monatlich durchgeführt werden sollten.

Um durch das eigene Vorbild zu ermutigen (Matroschka-Prinzip) und um sich selbst fortzubilden, sollten Supervisoren (und Mentoren) mindestens halbjährlich eine eigene Supervision durchführen lassen und alle zwei Jahre ein externes Kontaktseminar (an einem staatlichen Seminar oder Akademie oder einer Universität) besuchen. Auch bei Tandem-Supervision sollte hin und wieder eine externe Supervision zur Fortbildung angesetzt werden.

In der Aufbauphase und in schwierigen Fällen sollten für die Supervision der Praktikanten und der Supervisoren/Mentoren vermehrt qualifizierte, externe Supervisoren herangezogen werden. Diese können in der Routinephase weitgehend durch schulinterne Supervisoren und durch Supervisionstandems ersetzt werden. Externe Supervision kann sich dann auf einen zweijährigen Rhythmus beschränken und in Verbindung mit externen Fortbildungs- und Kontaktseminaren durchgeführt werden.

Im Rahmen des kollegialen, entwicklungsorientierten Prozessmodells der Supervision und Mentorik hat Bewertung die Funktion, Lernprozesse anzuregen und zu unterstützen; da sie für den Bewerteten transparent und zielkompatibel ist, hat sie auch höhere Legitimität als in Rahmen von bloß selektionsorientierter Supervision, die sich auf den Unterrichtsbesuch beschränkt.

Als Instrument der inneren Schulreform sollte die kollegiale, entwicklungsorientierte Supervision intensiviert und durch koordinierende Konferenzen mit anderen Schulen und überregionalen Institutionen begleitet werden.

 

3. Der "Klinische Zirkel"

Die Supervision findet in mehreren Schritten statt, die in zweifacher Weise einen Zirkel bilden:

Erstens: Die sogenannte Nachkonferenz, in der die Beratung und ggf. Bewertung stattfinden, schließt unmittelbar an die Beobachtung und die Vorkonferenz an, in der die Ziele und Kriterien der Supervision festgelegt werden.

Zweitens: Die Nachkonferenz endet mit einem Ausblick auf einen neuerlichen Supervisionszirkel.

Aus pragmatischen Gründen wird hier zwischen dem großen und dem kleinen klinischen Supervisionszirkel unterschieden. Der große Zirkel findet Anwendung in der Aus- und Weiterbildung und dient dem Erwerb von umfassenden professionellen Kompetenzen (z.B. bei Lehrern von didaktischen Fähigkeiten und der Beherrschung von Lehrmethoden). Der kleine klinische Zirkel findet seine Anwendung vor allem in der Peer-Supervision und in der innerbetrieblichen Fortbildung, bei der es vor allem um die Verbesserung von bereits gelernten Lehrtechniken geht.

3.1 Der große klinische Supervisionszirkel (GKS)

Der große klinische Supervisionszirkel dient der Begleitung eines umfassenderen Lernprozesses im Rahmen eines Ausbildungsprogramms. Für Einzelheiten siehe Reiman & Thies-Sprinthall (1997). Der GKS ist nicht Gegenstand dieses Kurses.

3.2 Der kleine klinische Supervisionszirkel (KKS)

Der kleine klinische Supervisionszirkel besteht aus mindestens drei Schritten:

Kleiner klinischer Supervisionszirkel 
1. Vorkonferenz
2. Beobachtung
3. Nachkonferenz

4. Vorkonferenz

Die Vorkonferenz dienst vor allem dazu, die Ziele des jeweiligen Supervisionszirkels festzulegen und die Kriterien für die Beobachtung der Handlungsprobe (z.B. Unterricht oder Lehrveranstaltung, oder auch Kundengespräch, Kaufverhandlung etc.) festzulegen.

Die Vorbereitung des Supervisors auf die Vorkonferenz sollte u.a. darin bestehen, sich bewusst zu machen, welche Art von Gefühlen auftauchen könnten und welche Gefühlsobjekte eine Rolle spielen könnten:

vor Beginn sollte auch der Zeitrahmen klar festgelegt werden. Die Länge sollte sich an den Möglichkeiten der Beteiligten richten sowie an den Erfordernissen des Gegenstandes der Beratung und des Entwicklungsstandes des Ratsuchenden. Die Vorkonferenz sollte ca. eine halbe Stunde dauern, kann aber je nach Erfordernissen und Möglichkeiten auch kürzer oder länger sein.

Zumeist lässt sich die Zeit besser nutzen, wenn beide Beteiligte sich gut vorbereitet haben und das Gespräch sich an der Themenliste bzw. dem Leitfaden für die Vorkonferenz (siehe auch den alternativen Leitfaden von Bärbel Türk) orientiert.

Themen für die Vorkonferenz

1. Wie fühlen Sie sich? Angespannt? Nervös? Gelassen?
2. Was haben Sie sich für die Lehrprobe vorgenommen?
3. Woran wollen Sie die Effekte Ihres Tuns feststellen?
4. Auf was soll ich achten?
5. Wo soll ich sitzen? Wollen Sie mich ankündigen / vorstellen?

4.1 Diskussion der momentanen Gefühle

Die Vorkonferenz wird mit der Frage nach den momentanen Gefühlen des Ratsuchenden eröffnet, wobei die Wortwahl variieren kann: "Wie fühlen Sie sich?" "Wie geht es Ihnen?"

Wichtig ist, dass der Supervisor mit Tonfall, Mimik und Gestik ausdrückt, dass er die Frage ernst meint und nicht bloß als Höflichkeitsfloskel. Dazu gehört, dass er den Ratsuchenden anschaut und ihm nach der Frage ausreichend (!) Zeit lässt, die Frage auch zu beantworten.

Die Frage nach den Gefühlen als Einstieg in die Vorkonferenz erfüllt wichtige Funktionen im Rahmen des Supervisions- und Beratungsprozess:

4.2 Diskussion der Lernziele und des Beratungs-Fokusses

...

5. Beobachtung

Die klinische Beobachtung dient der Erhebung möglichst objektiver Daten über die Performanz des Probanden gemäß gemeinsam vereinbarter Kriterien.

Das Wort "klinisch" kennzeichnet eine Besonderheit des hier vorgestellten Ansatzes der Supervision: Ein wichtiger Teil der Supervision -- die Beobachtung der Interaktion des Ratsuchenden mit seiner beruflichen Umwelt -- findet "stationär" statt, das heißt direkt am Arbeitsplatz (im Unterricht, in der Lehre etc.).

In anderen Ansätzen der Supervision stützt sich die Beratung allein oder vorwiegend auf den Bericht des Ratsuchenden über sein berufliches Verhalten und die Probleme, weswegen er/sie die Supervision aufsuchen. Die subjektiven Beobachtungen des Ratsuchenden stellen keine absolut objektiven Tatsachen dar. Sie sind gefärbt von seinen Motiven und Vorurteilen und sie sind oft recht unvollständig, was die Rolle der eigenen Person in der Genese z.B. vom Problemverhalten von Schülern geht.

Bei der klinischen Supervision, bei der eine dritte Person das Interaktionsgeschehen beobachtet, bekommt der Berater ein mehr unmittelbares und vollständigeres Bild.

Aber auch die Beobachtungsdaten der klinischen Supervision können verzerrt und fehlerbehaftet sein. Zwei Fehlerquellen sind dabei besonders relevant:

  1. Verzerrungen durch den Einfluss des Beobachters auf das Interaktionsgeschehen (z.B. in einer Schulklasse)
  2. Einschränkungen durch die Kürze und Ausschnitthaftigkeit der Beobachtung, die weder den biographischen noch den historischen Kontext des Geschehens berücksichtigen kann. Wie war der Lehrer bzw. die Klasse vorher? Welche externen Faktoren (Schulleiter, Kollegium, Schulpolitik etc.) bedingen das gegenwärtige Verhalten des Lehrers bzw. der Klasse?
  3. Verzerrung durch die Interessenlage des Beobachters, wenn dieser in Personalunion Ziele und Methoden vorgibt, die der Ratsuchende befolgen soll, oder wenn der Beobachter auch gleichzeitig Zensuren verteilt. Welches Verhalten wünscht der Berater und welche Folgen verspricht er sich davon?

Manche dieser Verzerrungen oder Einschränkungen der Objektivität der Beobachtung können umgangen werden, andere nicht. Diese können aber im Prozess von Beurteilung und Beratung in Rechnung gestellt und somit in ihren negativen Auswirkungen gemildert werden.

Die klinische Supervision sieht dafür folgende Maßnahmen vor:

  1. in manchen Fällen kann der Beobachter durch eine Videokamera ersetzt werden, die weniger Einfluss auf das Geschehen hat. Aber auch Videoaufnahmen können als störend und ängstigend empfunden werden. Das Videobild ist kaum angreifbar und der Kreis der potentiellen Beobachter ist unbekannt. Eine Videokamera ist auch weniger flexibel als ein menschlicher Beobachter, was bei manchen Themen von Nachteil sein kann. Beobachter scheinen sich weniger störend auszuwirken, wenn sie a) mit dem Lehrer und der Klasse ein Vertrauensverhältnis aufbauen, und b) sich offen für Fragen und neugierige Blicke geben. Das heißt: a) in der Vorkonferenz muss die Frage angesprochen werden, wo der Beobachter sitzen soll. b) Bei Beginn der Beobachtung sollte diese Frage vor der Klasse wiederholt werden, um anzuzeigen, dass der Beobachter sich den Regeln des Klassenzimmers anpasst und nicht ein neues "Machtzentrum" darstellt. c) Beobachtungen von Unterrichtsgeschehen sollten häufiger durchgeführt und als "Normalität" erlebt werden.
  2. Die Beobachtung sollte sich über mehrere Sitzungen erstrecken, den Lehrer in verschiedenen Klassen zeigen, andere Beobachter mit einbeziehen und vor allem auch die Selbstbeobachtung des Lehrers nicht nur mit einbeziehen, sondern diese im Rahmen des Beratungsprozesses stärken.
  3. Wenn die Beobachtung -- wie im Fall des kleinen Beratungszirkels -- allein auf die von Ratsuchenden Ziele und Kriterien fokussiert, stellt sich das Problem nicht. Wenn die Beobachtung Teil eines Innovationsprozesses ist, kann das Problem dadurch gemildert werden, a) dass die Ratschläge des Beobachters alle mit dem Ratsuchenden abgestimmt sind, und/oder b) dass Ratgeber und Beobachter zwei verschiedene Personen sind.

5.1 Beobachtungsbogen

Grundsätzlich sollte jede Beobachtung im Rahmen der klinischen, entwicklungsorientierten Supervision analog zu den Beratungszielen sich auf ganz wenige -- ein bis zwei -- zentrale Punkte konzentieren. Der Beobachter sollte seine Aufgabe so machen können, dass er daneben noch Kapazität frei hat für eigene, ganzheitliche Beobachtungen hat.

Jede Beobachtung muss sich an den besonderen Bedürfnissen des Ratsuchenden und den Vereinbarungen mit ihm der Vorkonferenzen orientieren. Somit sollte jede Beobachtung in gewisser Weise individuell geplant und durchgeführt werden, auch wenn es einige immer wieder kehrende Beratungsthemen gibt, für die man standardisierte Beobachtungsbögen nehmen kann.

Sofern ein solcher Beobachtungsbogen nicht existiert, kann man sich für den eigenen Entwurf an folgendem Schema halten:

Zeit
(5-Minuten-Takt)

Fokus 1: Maßnahme
(z.B. Wartezeit in Sekunden)
Fokus 2: Effekt
(z.B. Aufmerksamkeitsrate)
8.00v1 n1 v2 n0100% (aller Schüler in der Klasse)
8.05v2 n1 100%
8.10v2 n2 v2 n290%
8.15v1 n080%
8.20v0 n070%
u.s.w.  
Anmerkung:
v1, v2, v3 etc. - bedeutet die Wartezeit vor dem Antwortbeitrag des Kursteilnehmers in Sekunden (Wartezeit Typ 1)
n1, n2, n3, etc.
- bedeutet die Wartezeit nach dem Antwortbeitrag, also bevor der Dozent wieder spricht (Wartezeit Typ 2).
Die Aufmerksamkeit wird vor allem an der Kopfhaltung abgelesen: Der Teilnehmer schaut den Sprechenden an oder notiert er sich etwas versus der Teilnehmer schaut aus dem Fenster oder scheint zu träumen.
Wenn zwei oder mehr Beobachter zur Verfügung stehen, sollte jeder nur einen Fokus beobachten.

-> Literatur

Checkliste des Supervisors für die Beobachtung

1. Begrüßung / Vorstellung?
2. Sitzposition richtig?
3. (Optional: Videokamera funktionsbereit? Mikrofon richtig positioniert?)
4. Beobachtungsbogen vorbereitet?
5. Uhr in Sichtweite?
6. Am Ende: Termin für Nachkonferenz vereinbart? Verabschiedung
7. (Optional: Geräte abgebaut)

5.2 Beispiele für Supervisionsthemen

Gewöhnlich wird der Rat des Supervisors gesucht, um sich in einem bestimmten Bereich zu verbessern, zum Beispiel bezüglich der Frage:

Beobachtungsbogen für spezielle Themen (Belobigung/Kritik, Aktives Zuhören etc.) finden sich bei Reiman & Thies-Sprinthall (1998) und bei Lind & Knoop (2001). Hier einige Beispiele:

6. Nachkonferenz

Die Nachkonferenz dient vor allem dazu, dem Probanden im Rahmen der Zielvereinbarung eine möglichst objektive Rückmeldung über seine Handlungsprobe zu geben, um Lenrprozesse anzustoßen bzw. zu unterstützen.

Zur Vorbereitung sollte der Ratsuchende selbst anhand der Vorkonferenz über die Veranstaltung reflektieren. Dafür steht ein Leitfaden zur Verfügung, der bei Bedarf abgewandelt werden kann.

Die Vorbereitung des Supervisors auf die Nachkonferenz sollte u.a. darin bestehen, sich bewusst zu machen, welche Art von Gefühlen auftauchen könnten und welche Gefühlsobjekte eine Rolle spielen könnten:

vor Beginn sollte auch der Zeitrahmen klar festgelegt werden. Die Länge sollte sich an den Möglichkeiten der Beteiligten richten sowie an den Erfordernissen des Gegenstandes der Beratung und des Entwicklungsstandes des Ratsuchenden. Merke: Eine kurze (aber nicht zu kurze) Beratung ist besser als gar keine.

Zumeist lässt die Zeit besser nutzen, wenn beide Beteiligte sich gut vorbereitet haben, das Gespräch sich an dem Leitfaden für die Nachkonferenz (Großer klinischer Zirkel) oder der Themenliste (kleiner klinischer Zirkel) orientiert und der in der Vorkonferenz vereinbarte Fokus des Supervisionszirkels nicht aus den Augen verloren geht.

Themenliste für die Nachkonferenz
  1. Diskussion der momentanen Gefühle: "Wie fühlen Sie sich?" ... mehr
  2. Diskussion der Gefühle während der Veranstaltung/Beobachtung: "Wie fühlten Sie sich während der Veranstaltung, in der ich die Beobachtung durchgeführt habe?" ... mehr
  3. Diskussion der Lernziele: "Haben Sie das verwirklicht, was wir in der Vorkonferenz vereinbart haben?" ... mehr
  4. Effektkontrolle: "Woran machen Sie das fest?" ...mehr
  5. (Der Supervisor / die Supervisorin berichtet über das, was er/sie beobachtet hat) ... mehr
  6. Ausblick: "Was nehmen Sie sich für die nächste Supervisionsrunde (-zirkel) vor? An was möchten Sie weiter arbeiten? ... mehr

6.1 Diskussion der Gefühle

Die Nachkonferenz wird in der Regel mit der Frage nach den momentanen Gefühlen des Ratsuchenden eröffnet, wobei die Wortwahl variieren kann: "Wie fühlen Sie sich?" "Wie geht es Ihnen?"

wichtig ist, dass der Supervisor mit Tonfall, Mimik und Gestik ausdrückt, dass er die Frage ernst meint und nicht bloß als Höflichkeitsfloskel. Dazu gehört, dass er den Ratsuchenden anschaut und ihm nach der Frage ausreichend (!) Zeit lässt, die Frage auch zu beantworten.

Fragen den Gefühlen während der beobachteten Veranstaltung sollten hier noch nicht gestellt werden, erst später, es sei denn der Ratsuchende spricht sie von selbst an.

Die Frage nach den Gefühlen als Einstieg in die Nachkonferenz erfüllt wichtige Funktionen im Rahmen des Supervisions- und Beratungsprozesses:

 

6.2 Diskussion der Lernziele

Da im Rahmen der entwicklungsorientierten Supervision die eigenen Lernziele des Supervisanden eine entscheidende Funktion zukommt, muss sich auch die Nachkonferenz immer auf diese beziehen. Dabei stehen natürlich vor allem die Lernziele im Mittelpunkt, auf die sich Ratsuchender und Supervisor in der Vorkonferenz geeinigt haben.

Der Fokus auf die vereinbarten Lernziele hilft zudem, das Gespräch während der Nachkonferenz zu strukturieren und zeitlich begrenzt zu halten.

 

7. Anleitung für die "entwicklungsorientierte" Arbeit

 

7.1 Angeleitete Reflektion

 

12. Die Rolle des Supervisors

Bei der "entwicklungsorientieren Supervision" spielt der Supervisor eher eine partnerschaftliche Rolle als dies bei anderen Ansätzen der Supervision der Fall ist. Der Schwerpunkt liegt auf der Förderung von Lernprozessen, die der Ratsuchende selbst aktiv betreibt und für deren Ziele er die Verantwortung behält oder übernimmt.

Mit den folgenden Selbsteinschätzungsbogen kann der Supervisor bzw. die Supervisorin herausfinden, ob er/sie die richtigen Einstellungen für eine entwicklungsorientierte Supervision entwickelt hat:

 

(wird fortgesetzt)