Wartezeitregel |
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Letzte Änderung:
20.6.09 |
Folien | Beobachtungsbogen | Effekte für Lernende | Effekte für Lehrende | Erfahrungsbericht | Literatur Diese Methode besteht darin, vor und nach jedem Kommunikationsakt eine kurze Wartezeit (Wait time) einzulegen. Ein Kommunikationsakt (KA) ist definiert durch Sprecherwechsel. Konkret: Der Dozent erläutert etwas und stellt eine Frage an die Kursteilnehmer. Das ist ein KA. Die Wartezeit-1 Regel verlangt nun, dass der Dozent drei Sekunden wartet, bis er einen Kursteilnehmers "rannimmt", also antworten lässt. Nachdem der Teilnehmer geantwortet hat (wieder ein KA), sorgt der Dozent wieder für eine Pause von drei Sekunden, bis er selbst mit seinem Vortrag vorfährt (Wartezeit-2 Regel). Die Pause soll laut Rowe (1986) mindestens 2,7 Sekunden betragen, um für Studierende und Lehrende substantielle Ergebnisse zu haben. Meine eigenen Erfahrungen zeigen, dass auch bereits geringe Pause (ca. 1 bis 2 Sekunden) bereits deutliche Effekte auf die Aufmerksamkeit der Kursteilnehmer haben. Für weiterreichende Effekte scheint jedoch die 2,7-Sekunden-Schwelle zu gelten. In kontrollierten Studien hat sich die Wartezeitregel als sehr effektiv in Bezug auf folgende Kriterien bei Lernenden und Lehrenden erwiesen: a) die Beiträge
der Lernenden nehmen an Umfang zu (zwischen 300% und 700%). Hierfür
hat sich vor allem die Wait time 2-Regel als wichtig erwiesen. -> Erfahrungsbericht
eines Lehrers ... mehr
a) die Lehrerantworten
zeigen mehr Flexibilität, weniger Diskursfehler und mehr gedankliche
Kontinuität. Ich habe diese Regel bei mir selbst ausprobiert und auch von einigen Lehrern und Dozenten Rückmeldung erhalten, die ich mit dieser Regel vertraut gemacht habe. Der Erfolg, so die übereinstimmende Erfahrung, fällt sehr deutlich aus: Mehr Teilnehmer sind länger konzentriert bei der Sache. Wie kann man das erklären? Zu dieser Frage gibt es noch wenig experimentelle Forschung, aber einige Erklärungen erscheinen plausibel. Der wichtigste Grund für den überraschend starken Effekt der Wait-time-Regel scheint mir zu sein, dass es durch diese Mikropausen den Lernenden besser gelingt, ein Lehrparadoxon zu lösen und, sozusagen, "im Gleichschritt" zu lernen, wie das in Gruppenveranstaltungen immer notwendig ist. Das Paradoxon besteht darin, dass der Lehrende vom Lernenden oft etwas Unmögliches verlangt: er soll sich durch wichtige Informationen zum Nachdenken bringen lassen und gleichzeitig weiter zuhören. Entweder denkt der Lernende über das gerade Gehörte nach, um es zu verstehen und in sein Handlungsrepertoire einzubauen (und hört für einen Moment nicht mehr dem Lehrenden zu) oder er hört weiterhin intensiv zu (und verzichtet auf jegliches Nachdenken und Verstehen). Im ersten Fall verliert der Lernende schnell den Anschluss und schaltet nach einer Weile ab. Im zweiten Fall versteht der Lernende wenig oder nichts und ermüdet bald, weil das Anhören unverständlicher Vorträge überaus anstrengend ist. In beiden Fällen nimmt die Aufmerksamkeitsrate unter den Kursteilnehmern rapide ab. Durch die Wait-time-Regel werden also zahlreiche Mikropausen in den Informationsfluss während einer Lehrveranstaltung eingebaut, die durch ihre bloße Existenz bereits eine bessere Synchronisation vieler individueller Lernprozesse erleichtern. Aber nicht nur das. Durch den richtigen Einsatz von solchen Mikropausen (auch innerhalb eines Kommunikationsakts wie z.B. einer längeren Vortragsphase) kann die Lehre "spannend" gemacht und Wichtiges gegenüber Unwichtigem hervorgehoben werden. Solche Mikropausen haben sich als wesentlich effektiver erwiesen als zum Beispiel sogenannte Meta-Instruktionen ("Hört bitte zu!" "Das folgende ist ganz besonders wichtig!" "Bitte noch etwas Aufmerksamkeit!"). Wer einen besonders wichtigen Lehrsatz durch größere Pausen davor und danach hervorhebt, wird beim Lernenden einen größeren Effekt feststellen als wenn er diesen Lehrsatz mit Meta-Instruktionen ankündigt ("Jetzt kommt ein ganz besonders wichtiger Lehrsatz! Bitte jetzt einmal alle gut zuhören!" "Sie können danach gern wieder schlafen!"). Rowe (1986) nennt als weitere Gründe den Aufbau unseres Kurz- und Langzeitgedächtnisses, der solche Pausen erfordert, um neu Gelerntes effektiver zu verarbeiten, und das Gefühl der Lernenden, mehr ernst genommen zu werden, was die Lernmotivation und das Vertrauen und das Gelernte erhöht. Die Wait-time-Regel kann in relativ kurzer Zeit gelernt werden (auch wenn es eine Weile dauert, bis sie gut beherrscht wird). Dafür hat sich der sogenannte kleine Beratungszirkel gut bewährt (siehe unten). Rowe (1986) empfiehlt den Einsatz von Videos oder Tonbänder und die möglichst genaue Computergestützte Analyse der Wait time. In manchen Fällen ist der sichtbare Erfolg der Verhaltensänderung so stark, dass, wie mit ein Lehrer berichtete, ein Rückfall in alte Gewohnheiten unmöglich wurde. Wenn der Erfolg nicht so offenkundig ist, sollte die tatsächlich eingehaltene Wait time, so Rowe (1986) nach drei bis vier Wochen nochmals kontrolliert werden. Die Wait time Regel kann in veränderter Form auch auf Vorlesungen angewandt werden. Rowe (1986) schlägt hierfür das 10-2 Format vor: 10 Minuten Vortrag und 2 Minuten Pause, in der die Lernenden in 3er-Gruppen ihre Mitschriften vergleichen und Unklarheiten besprechen. Rowe, M.B. (1986). Wait time: slowing down may be a way of speeding up! Journal of Teacher Education, 37 (1), 43-50. download (nur für Kursteilnehmer; passwort-geschützt) Seifert, (2001). Is There a Best "Wait Time"? download (nur für Kursteilnehmer; passwort-geschützt) Pöppel, E. (1985). Grenzen des Bewußtseins. Über Wirklichkeit und Welterfahrung. Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. ZEIT-Interview |